Unternehmensberater Paul Weißhaar spricht über seine Chamäleon-Methode:
In Ihrem Buch „Die Chamäleon-Methode“ vergleichen Sie eine gute Führungskraft mit einem Chamäleon. Warum?
In dem Buch geht es um Anpassung: an die Umgebung, aber vor allem an die Mitarbeiter:innen. Aus meiner Sicht ist sie DAS Erfolgskriterium einer guten Führung. Jeder Mensch ist so individuell wie sein Fingerabdruck und benötigt entsprechend individueller Führung. Je besser sich Führungskräfte an ihre Angestellten anpassen können, desto leichter ist es, mit ihnen beste Ergebnisse zu erreichen. Und was symbolisiert die Meisterung der Anpassung besser als das Chamäleon?
Heißt Anpassung nicht, dass man unauthentisch wird oder sich nicht treu bleibt?
Wenn ein Chamäleon seine Hautfarbe ändert, um sich an die Umgebung anzupassen, bleibt es im Kern immer noch ein Chamäleon. Bei der Anpassung, die ich in dem Buch beschreibe, geht es vielmehr darum, Menschen in ihrer Individualität zu erkennen und wertzuschätzen, ihre Sprache zu sprechen, um die Kommunikation zu verbessern. Wenn Sie in Frankreich Urlaub machen und dort ein Croissant in der Landessprache Französisch mit entsprechendem Habitus bestellen, verändern Sie keineswegs Ihre Persönlichkeit. Aber die Chance ist hoch, dass Sie Sympathie ernten für Ihre Bemühungen. Ihr Gesprächspartner fühlt sich wertgeschätzt und begegnet Ihnen automatisch mit Respekt. Es geht dabei also viel mehr darum, Empathie für die eigenen Mitarbeiter:innen zu entwickeln – auch wenn sie vielleicht als Persönlichkeiten absolut andere Werte und Interessen und damit eben auch andere Fähigkeiten besitzen.
Langfristig profitieren Sie allerdings genau davon, denn besonders für komplexe Projekte benötigen Sie ein buntgemischtes Team. Einen kreativen Menschen erreichen Sie auf einer anderen Frequenz als einen typischen Ingenieur. Je mehr Sie also anderen Menschen mit Respekt und Empathie begegnen, desto bereitwilliger werden diese Menschen auch Ihre individuelle Persönlichkeit annehmen. Durch die Chamäleon-Methode wird man also sogar noch authentischer.
Sie haben noch andere Tiere in Ihrem Office. Gibt es wirklich „klassische“ Menschen-Typen oder steckt von allen etwas in uns?
In uns steckt ein ganzer Zoo und noch vieles mehr. Allerdings dominieren häufig einige typischen Charaktereigenschaften so stark, dass ein geschultes Auge sie auf den ersten Blick erkennt. Die Zootiere ziehe ich aus zwei Gründen heran: Erstens ist es für einen Einstieg in die komplexe Motivationspsychologie einfacher, sich vorerst nur auf fünf typische Charaktere zu beschränken. Zweitens möchte ich paradoxerweise genau dieses Phänomen des Schubladendenkens aufbrechen und den Leser dafür sensibilisieren, genauer hinzuschauen und zu erkennen, dass alle Eigenschaften zu gewissen Teilen in uns stecken.
Sie arbeiten mit der MSA (MotivStrukturAnalyse) nach Dr. Huber, um die Motivationen von Menschen herauszufinden. Auch darüber schreiben Sie in Ihrem Buch „Die Chamäleon-Methode“. Was macht diese Methode so besonders und warum nutzen Sie nicht das viel geläufigere Reiss-Profil?
In der Zusammenarbeit mit Menschen ist es mir wichtig, die Individualität in der Tiefe so präzise wie möglich zu erfassen. Ich habe für meine Arbeit viele diverse Methoden ausprobiert und sehe die Motivstrukturanalyse als die präziseste von allen an. Die MSA ist eine Weiterentwicklung des Reiss Profils. Die Methode erfasst insgesamt 18 völlig individuelle und voneinander unabhängige Motive und kommt somit dem Menschen in der Komplexität aktuell am nächsten. Sie ist auf den deutschsprachigen Raum und somit auf unsere Kultur angepasst und berücksichtigt auch den aus meiner Sicht wichtigsten Faktor: die Emotionen.
Warum ist es so wichtig, die Motivationen von Menschen zu kennen, um sie gut führen zu können?
Die korrekte Leistungsformel in der Zusammenarbeit mit Menschen lautet: Leistung = Können x Dürfen x Wollen. Hinter dem kaum berücksichtigten WOLLEN steckt die intrinsische Motivation. Je besser Sie Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und ihre Motive kennen, desto leichter können Sie die Menschen in ihr Wollen bringen, was wiederrum die Gesamtleistung steigert.
Bleiben wir beim Französischen: Merci d’avoir lu jusqu’ici. Je me sens très flatté. Falls Sie kein Französisch können: Ich habe Ihnen gerade etwas sehr Nettes gesagt. Sind Sie ein Pragmatiker, reicht Ihnen das vermutlich jetzt schon als Antwort aus. Wenn Sie aber in Richtung intellektueller Motivation tendieren, wollen Sie es jetzt genau wissen und müssen die Sätze nun leider durch einen Translator jagen. Sie wollen wissen, nicht glauben. Weiß ich, wie meine Mitarbeiter ticken, kann ich meine Kommunikation genau diesen Bedürfnissen anpassen und auch die anstehenden Aufgaben entsprechend verteilen und die Rahmenbedingungen danach entweder kleinteilig oder nur sehr grob stecken, damit der Mitarbeiter seine eigenen Wege zum gewünschten Ziel finden kann. Wege, die ich selbst vermutlich nicht einschlagen würde.